Schreckenstage 

April 1945


Zusammenfassung über die Zerstörung der St. Jakobuskirche, die Kriegsschäden am Pfarrhaus und den Tod des damaligen Pfarrers.
Zusammengetragen aus den hier veröffentlichten Dokumenten der Zeitzeugen, die hier ebenfalls zu Wort kommen. 

Ostersonntag des Jahres 1945 

Es war der Tag, an dem die ersten Panzer ins Dorf rollten. Bereits Tage vorher hatte der glutrot gefärbte Nachthimmel ringsum und Hiobsbotschaften aus der Nachbarschaft nichts Gutes angekündigt. 

So sollte dieser Osterfeiertag der vorerst letzte „normale“ Sonntag für die Dorfbewohner werden. Ein Sonntag eben, an dem man den Gottesdienst besuchte und als Familie beieinander saß. Bereits in der folgenden Nacht waren die Granateinschläge in unmittelbarer Nähe der Weinberge zu hören, so dass die Dorfbewohner die Nachtstunden  in den Kellern verbrachten. Wie viele Dorfbewohner sah Pfarrersfrau Mabel Dittmar
in der Sprengung der Eisenbahnbrücke in Uffenheim den Auftakt zur Zerstörung des Dorfes. 

 

Montag, 9. April 1945 

Letzte Beerdigung von Pfarrer Hans Dittmar in der Kirche 

Der Krieg forderte erste Todesopfer aus dem Dorf.  Bauer Jakob Spath, der während eines Munitionstransportes im Taubertal von Tieffliegern tödlich getroffen worden war, wurde auf dem hiesigen Friedhof von Pfarrer Dittmar (schon unter Lebensgefahr) beerdigt. Sie fand noch in der St. Jakobuskirche statt. Es war die letzte Beerdigung, die in der „alten“ Kirche stattfand und sie sollte gleichzeitig auch Dittmars letzte Beisetzung sein.  

Der Geistliche besuchte darüber hinaus an diesem Tag, trotz anhaltender  Feindtätigkeit, seine Kranken, wie seine Frau in ihren Aufzeichnungen anmerkte.  Zudem war im Pfarrhaus Militär einquartiert worden, darunter auch ein Stabsarzt. Die Pfarrersfamilie versorgte die „Gäste“ und überließ ihre Betten und Sofas stundenweise Soldaten als Schlafstätte. 

 

Dienstag, 10. April 1945

Pfarrer Hans Dittmar wird schwer verwundet. Das Pfarrhaus wird getroffen, aber nicht vollständig zerstört. 

Es setzte nachmittags Artillerie beschuss ein, dem erste schwere Brände folgten. Das Löschen wurde für die Feuerwehrmänner und -frauen immer gefährlicher, besonders als um Mitternacht ein neuer fortdauernder Feuerüberfall einsetzte. 

In den frühen Morgenstunden wurde Pfarrer Hans Dittmar nach einem seiner zahlreichen und unermüdlichen Hilfseinsätze schwer verwundet. Kurz zuvor war sein  Versuch  gescheitert, die weiße Fahne auf dem Kirchturm zu hissen. Er hatte es alleine nicht geschafft und konnte im Nachgang auch keinen der 28 Personen aus seinem besetzen Keller zum Mithelfen animieren. Keiner wagte sich mit ihm hinaus. Unmittelbar vor seiner Verwundung  hatte er noch Michael Weinmann dabei geholfen, sein Vieh zu bergen. Auf dem Rückweg in seinen Keller traf ihn dann ein Granatsplitter ins Gesäß. Er stammte von einer Granate, die an der Haustür eingeschlagen war. 

Pfarrer Dittmar konnte zunächst im Pfarrkeller von einer Gemeindeschwester mit Schmerzmitteln versorgt werden. Als der Beschuss zunahm und die Feuer weiter um sich griffen, war die Familie gezwungen sich eine andere Unterkunft zu suchen. So wurde der Schwerverwundete Pfarrer Dittmar von seiner Familie auf einer Bahre zunächst in den Nachbarskeller gebracht. 

Rings um das Pfarrhaus hatte es insgesamt sechs schwere Einschläge gegeben. Keine Haustüre und kein Fenster war mehr ganz, das Treppenhaus (überbauter Vorplatz mit Treppe vor der Haustüre des Pfarrhauses) war weggerissen worden und lag auf der Straße. Ein Brand im Inneren, der durch einen brennenden Strohbüschel verursacht worden war, konnte rechtzeitig bemerkt und gelöscht werden. 

 

Mittwoch, 11. April 1945

Der Kirchturm brennt. 

Pfarrer Dittmar und seine Familie mussten den Schutz des Kellers verlassen. Der Kranke wurde ins  Freie gebracht. In einem Rübenloch verbrachte die Familie eine „grauenvolle Nacht“.  Hierbei sah sie auch den brennenden Kirchturm, der wie eine schauerliche Brandfackel in den Himmel leuchtete. 

 

Donnerstag, 12. April 1945

Das Kirchenschiff wird ein Raub der Flammen. Kurz vorher konnten wertvolle Sakral– und Ausstattungsgegenstände aus der Kirche gerettet werden.  

Nach einer ruhigen Mittwochnacht sollten die schrecklichsten Stunden des Dorfes folgen. Innerhalb kürzester Zeit stand nach dem Phosphorbeschuss nahezu das gesamte Dorf in Flammen. In den Kellern brach oft Panik aus. Es waren die „Alten“, die bekannte Verse wie „Befiehl du deine Wege“ oder den „23. Psalm“ laut zu beten begannen.  Welch´ ein fester Glaube, der in Todesangst Trost und Zuversicht schenkte und die Menschen ruhiger werden ließ.  

Im Lauf der Nacht mussten viele die Keller verlassen. Sie verbrachten die Nacht außerhalb des Dorfes, in Wassergräben oder in den Weinbergen. Die, die im Dorf geblieben waren, versuchten Hab und Gut zu retten. So auch Hauptlehrer Hoerner und Christian Seufferlein. Morgens um halb drei Uhr brachten sie, ungeachtet der Gefahr, aus der bereits brennenden Kirche das große Kruzifix bei den Mädchenstühlen, die Altarbibel, sämtliche Paramente, den Altarteppich, das neue Bahrtuch, die sechs Altarleuchter, das Altarkruzifix, Taufbecken und Taufkännchen, den Kronleuchter und Notenbücher für die Orgel in Sicherheit. Ludwig Seufferlein bemerkt in seinen Aufzeichnungen hierzu, dass auch die Lindenbäumchen an der westlichen Kirchhofsmauer alle mehr oder weniger beschädigt seien.
 

Wenig später brannte das Kirchenschiff hellauf. Balken, Empore und Orgel stürzten innerhalb kürzester Zeit krachend zusammen. Der aus den zerbrochenen Fenstern und dem durchlöcherten Dach aufsteigende Funkenflug hätte beinahe das Nachbarhaus von Hans Triftshäuser in Brand gesetzt. Dies wurde durch das beherzte Eintreten von Hans Düll und Georg Rothkirch verhindert. Auch der in der Nacht einsetzende schwache Regen verminderte die Gefahr des Funkenfluges. 

Trotz aller Versuche und dem uneigennützigen Eingreifen zahlreicher Männer und Frauen, wurden ganze Dorfviertel und Straßenzüge sowie unzählige Tiere ein Raub der Flammen. Den Rückkehrern, die aus dem brennenden Dorf in die Flur geflüchtet waren, bot sich am nächsten Tag ein Bild des Grauens.  

Freitag, 13. April 1945

Pfarrer Dittmar gelangt auf Umwegen ins Krankenhaus und wird operiert. 

Am Nachmittag gegen halb vier Uhr kamen die Amerikaner aus Richtung Markt Nordheim. Überall zeigten sich weiße Fahnen, so dass sie langsam in den Ort hereinkamen. Alle atmeten erleichtert auf, da nun endlich die Kampfhandlungen zu Ende waren. 

Nach intensiven Bemühungen gelang es endlich am Samstag Pfarrer Dittmar mit einem Bauernfuhrwerk in ein Krankenhaus zu transportieren. Trotz Notoperation konnte ihm nicht geholfen werden und er verstarb.

 

Wochenende des 14./15. April 1945

Hauptlehrer Hoerner übernimmt Trauerfeier für fünf Todesopfer

An erster Stelle standen nun die Aufräumarbeiten und das Freimachen der Straßen. Dennoch nahmen sich die Gemeindeglieder Zeit, um fünf  

Todesopfer zu bestatten. Man kam, wie man gerade war, schmutzig, hungrig, erschöpft und in den Kleidern, die man am Leib trug. Die Einsegnung nahm Hauptlehrer Hoerner vor. Beerdigungen wie diese waren in den letzten Kriegstagen an der Tagesordnung. 

Mittwoch, 18. April 1945

Pfarrer Dittmar wird von Dekan Riedelbauch in Ulsenheim beerdigt. 

 

 

In den Wochen danach

Auch ohne Kirche traf man sich schon bald wieder zum Gottesdienst im Schulhaus. Die Stühle wurden von daheim mitgebracht.

Auch wenn mehr als 80 Prozent des Dorfes zerstört war, gaben die Dorfbewohner nicht auf. Sie suchten weiterhin Trost und Zuversicht in ihrem tiefen Glauben. Zum Gottesdienst trafen sie sich im Schulhaus. Weil es nicht genügend Sitzmöglichkeiten für alle gab, brachte jeder seinen Stuhl  von zuhause mit. 
 

Im Jahr 1948 wurde mit dem Wiederaufbau der Kirche begonnen. 

Lassen wir Zeitzeugen und Überlebende zu Wort kommen.

Lassen wir uns mit hineinnehmen, 
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche. 


Johann Rothkirch | Bürgermeister

Chronologische Aufzeichnung der Zerstörung vom 1. April 1945 bis 13. April 1945 | Quelle: Bericht aus den Uffenheimer Geschichten, Band 5, Jahr 1984

Ludwig Seufferlein 

Chronologische Aufzeichnung von Ostermontag bis Donnerstag
Quelle: Bericht aus den Uffenheimer Geschichte, Band 5, Jahr 1984

Mabel Dittmar | Pfarrersfrau

Die Pfarrersfrau beschreibt die letzten Tage in Ulsenheim, in denen sie auch ihren Ehemann durch einen Granatsplitter verlor.

Anni Geißlinger (verh. Hillenbrand) 

Wie die Neunjährige die Tage vom 10. - 12. April 1945 erlebte.
Quelle: Ihre Handschriftliche Aufzeichnung aus dem Jahr 2007 

Frieda Spath (verh. Beider)

Wie die 15-jährige den Tod des Vaters, die Flucht aus dem Dorf und die Zerstörung ihres Elternhauses erlebte.
Quelle: Ihre Handschriftlichen Aufzeichnungen in den 90er Jahren

Gisela Steil

50 Jahre nach Kriegsende hat sie ihre Erlebnisse aufgeschrieben und in der Tagespresse veröffentlicht. 

Das zerstörte Dorf Mitte Aril 1945

Schön zu sehen ist der Kirchturmstumpf rechts im Bild.

Auch hier fällt der Kirchturm ohne Dach in den Blick.

Aufräumarbeiten überall

Ulsenheimer Trümmerfelder

Leonhard Lechner vor dem Anwesen Gümpelein

Fuhrwerke und Geräte standen im Freien. 

St. Jakobuskirche zu Ulsenheim

... vor der Zerstörung

Vor der Zerstörung im Jahr 1945

Erntedankgabe im Altarraum

Innenraum mit Altar und Kanzel

... nach der Zerstörung

Da steht nicht mehr viel!

Im Inneren mit freiem Blick zum Himmel

Blick auf den Altarraum

Könnte das ein Krankentransport gewesen sein?

Die Schreckenstage

Gedicht von Pfarrfrau Hanna Müller | Veröffentlicht im Jahr 1970

Die Häuser wanken und die Fenster splittern,
 die Erde bebt und wir erbeben mit.
 Wir bergen uns im Keller und erzittern.
 Wir wissen nicht, wohin mit unserem Schritt.
 Wir wissen nicht, wohin mit unserer Habe,
 mit unserem Hausrat, Vieh und allem Ding - 
 es ist doch alles Gottes Gabe,
 und dünkt uns dennoch jetzt gering -
 wir haben Angst, nur Angst um unser Leben,
 von Feuer und von Flammen schwer bedroht,
 wir flüchten und wir rennen und wir beten,
 denn aus dem Himmel stürzt der schnelle Tod.
 Und Feuer, Rauch und rote heiße Flammen
 und Dächer krachen über uns zusammen.
 
 Wo ist da Rettung aus der Not?
 Wo ist da Rettung vor dem Tod?
Bei dir, Herr, alleine.

 

Da steigen die Gebete auf zum Himmel,
 da geht ein Rufen bis zu Gott empor,
 da falten und da heben sich die Hände,
 da dringt der Menschen Schrei zum Himmelstor.

Gott half, ER half auf seine Weise:
 Nach einer Zeit voll bittrer Not,
 gab ER uns sanft und sacht und leise
 die Heimat wieder und das brot,
 die Häuser wuchsen aus den Trümmern,
 die Felder trugen schwere Frucht
 und allen gab ER gut und reichlich,
 die damals ihn in Not gesucht.

Vergesst sie nicht, die schweren Zeiten,
 vergesst sie nicht, sie sollen uns
 zur Ewigkeit hinüberleiten.
 Es bleibt und ist wie sonst und einst,
 wo ist die Hilfe, wenn du weinst?

Bei dir, Herr, alleine. 

 

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