Lassen wir Zeitzeugin
Anni Geißlinger zu Wort kommen.

Lassen wir uns mit hineinnehmen, 
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche.

Anni Geißlinger 
(verheiratete Hillenbrand) 

Wie die Neunjährige die Tage vom 10. - 12. April 1945 erlebte.
Quelle: Ihre Handschriftliche Aufzeichnung aus dem Jahr 2007 

Unser Haushalt bestand aus fast nur weiblichen Personen: Mutter, Tante, meiner Schwester Liesel und ich, Oma und Opa und der 14-jährigen Magd Marie, einer evakuierten Frau mit Kind und einem Kriegsgefangenen (Belgier), der aber kurz vor der Vernichtung mit seinen Arbeitskameraden abtransportiert wurde. 

Nun kam die deutsche Wehrmacht ins Dorf. Bei Schamann (jetzt Haag) war der Stab, wir hatten die Funker und bei Lechner (jetzt Endreß Friedrich) war das Lazarett. Bevor die Soldaten gingen, haben sie noch unseren kleinen Mostkeller im Haus mit Balken unterstützt und gesagt: „Hier bleibt ihr, wenn nicht direkt eine Granate einschlägt“. Bevor sie abfuhren wurde noch anständig gefeiert, mit selbstgemachtem Eierlikör und Speck mit Eiern. 

Die Zerstörungsursache unseres Dorfes waren 3 SS Panzer, die die weiße Fahne nicht zuließen und mit Erschießung drohten. Als der Beschuss kam, legte unsere Mutter Betten und Decken auf die Mostfässer und wir Kinder lagen darauf. Die Erwachsenen saßen auf den Stühlen. Es war in dem Keller sehr kalt, denn es floss ständig ein Rinnsal Wasser durch. Wir bangten und beteten, dass der Herrgott uns beschützen möge. Ich dachte oft als Kind, warum leben wir nicht in einem Land, wo es keinen Krieg gibt. 

Unser Großvater war ständig unterwegs. Er, als alter Kriegsveteran, steckte nur beim Abschuss seinen Kopf zur Kellertür herein, um gleich wieder oben im Hof und Stallungen zu sein. 

Am vorletzten Tag gab es auf einmal einen fürchterlichen Knall. Fensterscheiben klirrten und wir dachten, jetzt hat eine Granate unser Haus getroffen. So schnell wir konnten, stiegen wir die Treppe hinauf. Doch außer kaputten Fensterscheiben, Dreck und Staub sowie unsere durchlöcherten großen Osterhasen (aus Pappe), die im Fenster standen, war alles heil. Für uns Kinder war´s dennoch ein schmerzlicher Verlust. Im Nachhinein stellte es sich heraus, dass die Granate in Nachbar Dornbergers Miststätte gelandet war. Die ganze Umgebung und unser Hausgiebel waren voller Mistfladen. Zum größten Leid erfuhren wir dann, dass Granatsplitter unserem Nachbarn Stütz beide Beine abgeschlagen haben. Er war Feuerwehrmann und sprach kurz vorher noch mit unserer Mutter. Auf dem Weg in Dornbergers Keller passierte dann das Unglück. Die Menschen von dort gerieten in Panik und flohen alle zum Dorf hinaus. Auch Nachbarin Anna Glück mit ihrem kleinen Töchterchen Maja und Hans flüchteten über die Gollachbrücke Richtung Seenheim. Sie verlor ebenfalls durch Granatsplitter ein Bein. Beide mussten unter erbärmlichen Transportumständen Richtung Neustadt / Aisch ihr Leben beenden. 

Wir Frauenspersonen aus unserem kleinen Keller liefen am nächsten Tag auch um die Wette zum Dorf hinaus. Als wir die Gasse hinuntersprangen kam uns ein Pferd entgegen, stellte sich auf die Hinterfüße und wieherte uns ängstlich an. Zum Glück stand ein Jauchefass-Wagen in der Nähe und wir verkrochen uns dahinter. Unser Ziel waren die Weinberge, doch es gab kein Hinauskommen. Überall brannte es lichterloh. Endlich, die Gasse bei Schmidt, wir konnten es wagen. Oben angelangt bei Klein, Burkholz (jetzt Metzgerei Seemann) hörte man ein jämmerliches quietschen. Drei schwarzverbrannte Schweine wälzten sich dort in ihrem fürchterlichen Schmerz. Als wir zum Dorf draußen waren, fiel die brennende Kleins Scheune zusammen und unser Fluchtweg wäre beinahe versperrt gewesen. Später erfuhren wir, dass die Kleins Oma unterm Scheunentor zu Tode kam. 
 

Völlig erschöpft und durstig kamen wir bei unserem ehemaligen Garten (jetzt Burkholz) an. Mit aller Kraft bewegten wir den Brunnenschwengel, doch es kam kein Tropfen Wasser heraus. Mutlos schleppten wir uns weiter bis zu unserer Schuldwiese. Hier legten wir uns todmüde in den Graben. Die feindlichen Granaten zischten über uns hinweg nach Herbolzheim. Plötzlich sahen die Frauen einige Kühe auf der Wiese grasen und das Durstproblem war gelöst. Im leichten Nieselregen verbrachten wir die ganze Nacht dort. 

Am nächsten Morgen kam die Frage: „Wo ist unser Opa?“ Tante Liesel und Marie machten sich auf den Weg ins Dorf. Sie fanden ihn wohlbehalten im Haus, er hatte es gelöscht. Zum Glück waren unten und oben Blechtüren zwischen Haus und Stall angebracht und so brannte nur der Holzfußboden einen Meter rein. Ochs und Pferd hatte er sicher aus dem Ort gebracht und sie im Lechner-Garten an einen Baum gebunden. Unser Haus stand nun ganz alleine auf der Anhöhe, ringsum alles abgebrannt. Nur die Glücksmänner hatten ihres auch gelöscht und das Schurz Haus (jetzt Götz) stand ebenfalls noch. Wir hatten nun ein volles Haus. Mutters ehemalige Schulfreundin, Sofie Klein, mit 4 Kindern und Opa sowie Maries Eltern kamen noch dazu. 


Als die Amerikaner kamen, wurde es noch enger. Sie beschlagnahmten das ganze obere Stockwerk. Bei ihrer Ankunft waren nur Großmutter, meine Schwester, Marie und ich da. Ich erinnere mich noch sehr genau an die angstvollen Minuten, wie sie Marie am Arm packten und sie fürchterlich weinte. Sie wollte keinen Schritt vorwärtsgehen, doch sie zerrten sie vor sich her die Treppe hinauf (mit vorgehaltenem Gewehr) bis zum obersten Dachboden. Wahrscheinlich vermuteten sie noch SS Soldaten oben, denn sie kamen bald wieder herunter. 

Zwei kleine Episoden: Unsere einzige übrig gebliebene Henne legte ein Ei in einem Schutthaufen. Ich hörte sie laut gackern und lief so schnell ich konnte hinüber. Als ich auf dem halben Weg mit dem Ei war, kam mir ein Amerikaner entgegen und nahm es mir ab. Ich war wie gelähmt und enttäuscht lief ich davon. Auch lustiges gab es mit den Amerikanern. Wir Kinder hatten damals alle Stelzen, die Buben hohe, die Mädchen niedrige. Also übten auch die Amerikaner damit, doch ohne Erfolg. Sie fielen immer wieder runter und wir lachten uns halbtot darüber. 

Nach einigen Tagen kamen die Kriegsgefangenen wieder in unser Dorf zurück. Sie waren sehr betroffen und halfen, wo sie nur konnten. Unser Albert war zu uns Kindern wie ein Vater. Ich saß oft auf seinem Schoß und meine Schwester Liesel kämmte ihm die Haare. Als er fortging weinten er und wir alle. Wir begleiteten ihn bis zum Dorfrand, wo der LKW stand, Richtung Heimat, und winkten ihm und all seinen Kameraden so lange zu, bis wir sie nicht mehr sahen. 

An unserem ersten Musikfest, im Jahr 1972, war er noch einmal da, auch ein Bus mit ehemaligen Kriegsgefangenen. Beim Abschied nahm er mich in den Arm und sagte zu allen Umstehenden: Liesl und Anne, meine Kind! 

Anni Geißlinger

als Kind

Anni, verh. Hillenbrand

als Seniorin

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"Zerstörung"