Lassen wir Zeitzeugin
Mabel Dittmar zu Wort kommen.

Lassen wir uns mit hineinnehmen, 
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche. 

Mabel Dittmar | Pfarrersfrau

Die Pfarrersfrau beschreibt die letzten Tage in Ulsenheim, in denen sie auch ihren Ehemann durch einen Granatsplitter verlor. Ihr maschinenschriftlicher Bericht wurde bislang noch nie veröffentlicht. 

Die Ereignisse vor 50 Jahren, als der Krieg auch Ulsenheim so gut wie hinwegfegte, bedeuteten für viele das Ende. Die Väter, Söhne oder Ehemänner waren irgendwo an der Front, soweit sie nicht gefallen waren. Zu Hause verblieben allenfalls Greise, Frauen, Kinder - Einheimische und Evakuierte. Die Kriegsgefangenen hatte man einige Wochen vorher weiter nach Süden verbracht.

Viele, die diese Tage bewusst erlebt und erlitten haben sind inzwischen verstorben, letzte Zeitzeugen werden immer weniger. Lassen wir uns das Geschehen im Jahre 1945 am Schicksal des damaligen Ortspfarrers ins Gedächtnis rufen, wie es seine inzwischen verstorbene Witwe überliefert hat: [gekürzt]

 

Am 18. März konnten wir noch in stiller, schöner Harmonie die Konfirmation unserer Gisela feiern. Aber schon der Samstag vor Ostern war gekennzeichnet von großer Lebendigkeit. Eine große "Rückwärts-bewegung" von deutschem Militär überflutete unser sonst so stilles Dorf. In unser vollbesetztes Haus (8 Personen) kam nun noch militärische Einquartierung, ein Stabsarzt mit Bursche. Außerdem schliefen bei Tag in allen freistehenden Betten und Sofas viele Soldaten, abwechselnd einige Stunden. Im Pfarrhaus ging es zu wie in einem Gasthaus (einschl. Verabreichung von 54 Klößen mit Fleisch). Im frühlingsmäßig blühenden Garten erlebten wir die letzten "Friedenstage" im Krieg.

 

Doch wurden wir stündlich daran erinnert, dass großes Unheil drohte. Unentwegt krachten die Artillerieeinschläge in den Waldeshöhen nördlich von uns. Die Sprengung der Eisenbahnbrücke in Uffenheim am 8. April mit einer furchtbaren Detonation gab den Auftakt zu dem, was nun kam. Am 9. April war starke Fliegerbeobachtungstätigkeit und es war allen recht unheimlich, als mein Mann seine letzte Beerdigung hielt. Ein Bauer [Jakob Spath, 46 Jahre] war bei einem Munitionstransport für das zurückweichende Militär von Tieffliegern tödlich getroffen worden und konnte nur unter sehr gefahrvollen Umständen heimgebracht und beerdigt werden.

 

In der Nacht vom 9./10. April traf die erste Granate unser Dorf. Der erste Brand loderte zum Himmel, dazu die Begleitmusik der Tiefflieger. Unser Vater war unermüdlich helfend tätig. Am nächsten Vormittag machte er seine letzten Krankenbesuche trotz starker Feindtätigkeit. Zwei Gemeinde­ gliedern [Leonhard Stütz, 51 Jahre und Anna Glück, 41 Jahre] waren die Beine weggerissen worden. Es waren erschütternde Verhältnisse.
 

Die Feindtätigkeit schwoll immer mehr an. Dennoch war Vater selten zu Hause. Als ich ihn nur einmal wortlos flehentlich ansah, bat er mich: "Halte mich nicht ab, mir passiert nichts, du siehst, ich bin unverletzt durch einen Glasregen gegangen." 

 

Die Lage wurde immer schlimmer, das halbe Dorf brannte schon. Unser Vater wollte nachts die weiße Fahne (ein Betttuch) auf dem Kirchturm hissen. Er war schon oben, aber es war allein zu schwierig, er brauchte Hilfe. So kam er wieder zu uns in den mit 28 Personen besetzten Keller und bat die Männer, mitzugehen, aber keiner wagte es. 

Die Lage wurde immer schlimmer, das halbe Dorf brannte schon. Unser Vater wollte nachts die weiße Fahne (ein Betttuch) auf dem Kirchturm hissen. Er war schon oben, aber es war allein zu schwierig, er brauchte Hilfe. So kam er wieder zu uns in den mit 28 Personen besetzten Keller und bat die Männer mitzugehen, aber keiner wagte es. Ein Bauer klagte, dass sein Vieh vielleicht verbrennen müsse. Sofort sagte Vater: "Wir gehen und machen es los." Sie gingen beide hinaus, kamen nach wenigen Augenblicken wieder. Draußen tobte die Hölle. Mein guter Mann stand schon auf der Kellertreppe und zog die Korridortür hinter sich zu als eine Granate an der Haustür einschlug. Ein glühender, scharf gezackter Splitter traf ihn ins Gesäß. 

 

Das war nachts zwischen 2 und 3 Uhr. Nun folgten entsetzliche Stunden qualvoller Schmerzen und voll Angst. Haus und Scheune wurden von mehreren Granaten getroffen, von denen eine den nicht unterkellerten Teil traf, sie hätte unser sicherer Tod sein können. Mehr als einmal mussten wir glauben, das Ende sei da. Erst am nächsten Vormittag konnte Schwester Frieda [Gemeindediakonisse] unter Lebensgefahr kommen und eine Einspritzung machen.  

Unser Haus wurde von Stunde zu Stunde schlimmer beschädigt, wir  

waren gezwungen, es zu verlassen. Um uns ein Flammenmeer. Der Schwerverwundete wurde auf einer Bahre in den Keller eines benachbarten Bauernhofes getragen, wohin wir alle flüchteten. Es folgte eine entsetzliche, schmerzensreiche Nacht, die Wirkung der Spritze reichte nicht aus. Wir lagen auf Stroh gleich neben dem zu ebener Erde gelegenen Kellereingang. An die mit einer Panzerplatte verstellte Tür prasselten mit grauenhaftem Dröhnen die Geschosse. Nach dieser qualvollen Nacht kam am nächsten Morgen in aufopfernder Weise die Schwester mit der schmerzlindernden Einspritzung. 

 

Am Nachmittag war dann die Brandgefahr so groß, dass wir auch diesen Keller wieder verlassen mussten. Da uns das brennende Nachbargehöft den Weg ins Freie versperrte, mussten wir eine ganz steile Wendeltreppe benutzen. Der Keller leerte sich in panischer Flucht. Keiner dachte daran uns zu helfen. 

In einer Rübenmiete, 300 Meter vom Dorf entfernt, fanden wir ein Lager für die nun folgende grauenvolle Nacht. Vor Einbruch der Dunkelheit fand uns die Schwester mit der lindernden Spritze, worüber wir sehr froh waren. Das Schießen ging weiter. Granaten brausten in unheimlicher Weise über unsere Köpfe hinweg nach Herbolzheim.  Leichter Regen setzte ein, umherirrendes·Vieh suchte in unserem Schlupfwinkel sowohl Futter als auch Lagerstätte. Nur mit Mühe gelang es mir, es zu vertreiben. Das nächtliche Schauspiel war grausig: Das ganze Dorf stand - mit wenigen Ausnahmen - in Flammen, auch die Kirche, deren Turm eine schauerliche Brandfackel darstellte.

 

Von weitem sahen wir Uffenheim brennen, hinter uns Herbolzheim - das Ganze eine Symphonie des Grauens. In dieser Nacht war Uffenheim dem Amerikaner übergeben worden.

Es war Freitag früh. Kein Mensch wusste, ob in Uffenheim das Krankenhaus noch stehen und ein Arzt noch leben würde. So musste ich hinein wandern und kam gerade in dem Augenblick, als der Amerikaner das Krankenhaus beschlagnahmte. Eine halbe Stunde früher hätte ich noch einen Sanitätswagen bekommen können... 

 

Nun galt es, schweren Herzens wieder heim zu wandern. In der total zerstörten und verstörten Gemeinde ein Bauernfuhrwerk zu bekommen, war ein Kunststück. Die Gäule irrten im freien Feld umher, die Wägen waren zum großen Teil verbrannt oder standen mit Hausrat bepackt in den Wiesen. Fuhrmänner waren ebenfalls nicht zu finden. Als es dann endlich soweit war, dass wir hätten fahren können, war es wegen der Sperrstunde zu spät. Eine weitere Nacht noch musste der Schwerverletzte auf Hilfe warten. 

Am Samstag in aller Frühe fuhren wir zum Dorf hinaus. Wegen der unsinnigen Brückensprengung [Eisen-bahnbrücke bei Uffenheim] mussten wir einen großen Umweg machen über schreckliche, unebene Feldwege. Als wir dann endlich am Ziel waren, war es zu spät! Es wurde wohl noch operiert - aber es war keine Hoffnung mehr. Herr Dekan Riedelbauch, der gleichfalls verwundet war, besuchte ihn am Sonntag und reichte ihm am Montag früh das HL Abendmahl. Danach schwand gegen Mittag das Bewusstsein. Gegen 17 Uhr entschlief er sanft und ruhig. 

Am Mittwoch, dem 18. April, begruben wir ihn in Ulsenheim. Am Vorabend seines Sterbetages hat er sich seinen Leichentext selbst bestellt (Luk.17,10): "Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." 

Pfarrer Hans Dittmar mit Tochter Gisela und Frau Mabel

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"Zerstörung"