Lassen wir Zeitzeuge
Ludwig Seufferlein zu Wort kommen.
Lassen wir uns mit hineinnehmen,
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche.
Ludwig Seufferlein
Chronologische Aufzeichnung von Ostermontag bis Donnerstag
Quelle: Bericht aus den Uffenheimer Geschichte,
Band 5, Jahr 1984
Schon Tage, ja Wochen hört man schweres Artilleriefeuer. Am Ostersamstag, den 31. März waren wir mit Kartoffellegen im Uffenheimer Weg beschäftigt, als es anging, erst einzeln, dann in größeren Gruppen, dass deutsche Soldaten in östlicher Richtung vorüberzogen, teils mit beschlagnahmten Bauernwägen, teils mit Handwägen, teils mit Pferden, teils mit Ochsen bespannt. Mein Gedanke war: sie kommen eben wie ein Heer in Auflösung. Es waren fast durchweg Lazarettkranke, die der Front auswichen, ohne Waffen. Im Laufe des Nachmittags bewarfen feindliche Flieger Rothenburg mit Bomben, man sah es mit an, und große Rauchwolken zeigten die Wirkung an.
Der Volkssturm wird in Alarmzustand gesetzt, da die Amerikaner bei Aschaffenburg durchgebrochen sind. Auch rechnet man mit Luftlandetruppen. Posten mit Gewehr bei Tag und Nacht werden aufgestellt. Der Volkssturm muss „Panzersperren" anlegen an den Dorfeingängen und Schützengräben ausheben seitlich der Straße. Sie werden durch feindliche Flieger gestört. Ebert von Uttenhofen kontrolliert auf Motorrad und in SA-Uniform, ob der Volkssturm die Befehle auch ausführt, wird aber sehr unfreundlich empfangen. Soldaten erzählen, sie kämen von Bütthardt, wo ihnen die Amerikaner dicht auf den Fersen waren.
Feindliche Flieger greifen sehr stark und häufig die Bahnlinie, besonders Personenzüge bei Mörlbach, Uffenheim, Gnötzheim und Ochsenfurt, an. Dabei gibt es auch Opfer unter der Bevölkerung (Singer, Neuherberg), den Bauern auf dem Felde und auf der Straße. Bei der Saat sind wir dauernd in Gefahr vor Fliegern in Verbänden und einzeln. Man verrichtet die Arbeit teilweise vor Tagesanbruch. Abgeschossene amerikanische MG-Patronen finden sich an allen Ecken und Enden. Die Leute beginnen mit dem Verräumen von Lebensmitteln, Kleidern und Haushaltsgegenständen zum Teil im Keller durch Vergraben, zum Teil verstaut oder ins Freie oder auf Wägen gebracht.
Der Volkssturm von Neustadt/Aisch und Umgebung und von Nürnberg werden durch LKW hierher an die Front gebracht, Massenquartier ohne Verpflegung. Ebenso Militär ausgerüstet mit Panzerfaust und dem neuesten InfanterieGewehr (Massenartikel), heben Schützenlöcher und Stellungsgräben aus und beziehen an der Kreuzstraße Stellung.
Ostersonntag. Masseneinquartierung, auch bespannte Einheiten, auch während der Nacht. Die Soldaten müssen sich dauernd vor feindlichen Fliegern verstecken. Sie werden auch auf der Herbolzheimer Straße angegriffen. Keine Osterstimmung.
Am Abend müssen sechs bespannte Fahrzeuge gestellt werden zum Abtransport einer Genesungskompanie nach Scheinfeld und weiter nach Tutenhofen(?, evtl. Dutendorf bei Vestenbergsgreuth). Dabei ist auch Christian. Er ist unterwegs von Sonntag sechs Uhr abends bis Montagnachmittag drei Uhr. Andere Fahrzeuge müssen auch nach Ippesheim und Neustadt fahren.
Ostermontag. Es sollte Verlobung gefeiert werden, unter diesen Umständen unmöglich. Die Kriegsgefangenen müssen nach Windsheim gebracht werden. Vier Fahrzeuge zum Munitionstransport (Thorwart, Endreß 41, Endreß 70, Spath mit Pferd von Brantz und Klein) ins Taubertal. Tag und Nacht ein Kommen und Gehen von Militär, Volkssturmleuten, von hier noch nach Uffenheim befohlen zum Einsatz, in letzter Minute noch als Deserteure haben sie unter eigener Lebensgefahr den Weg zurückgefunden.
Dienstag. Man fängt an, Maschinen, Wägen usw. aus den Scheunen und Maschinenhallen ins freie Feld zu fahren. Wiesen und andere Plätze um das Dorf herum bilden einen Park von Maschinen, Wägen beladen mit Saatkartoffeln, Mahlgetreide, Kleeböcke auf Äckern und in Haufen zusammengestellt. Kein Mensch hat mehr viel Interesse an der Arbeit, die Front kommt merkbar näher. Besonders in Richtung Rodheim-Ochsenfurt-Nenzenheim schwere Rauchwolken. Man ahnt schweres und erwartet jeden Tag den Amerikaner. Die Pferde von Endreß 41 mit Mann (Michel, Ukrainer) kommen ohne Wagen zurück. Er bringt die Nachricht, dass Jakob Spath mit Pferden bei einem Fliegerangriff bei Tauberzell ums Leben kam. Er wurde dort zunächst begraben, jedoch später wieder ausgegraben und hierher gebracht.
Ende der Woche. Im Walde Richtung Hohenlandsberg MG und Artillerie Feuer, überall brennende Ortschaften: Rodheim, Gülchsheim, Ippesheim, Herrnberchtheim, Gollhofen, Reusch, Weigenheirn, Geckenheim, Nenzenheim, darüber stets Artillerie-Beobachtungs-Flugzeug.
Christian muss nochmal mit dem Fuhrwerk Proviant für Militär holen in Reusch, obwohl man sagt, dass die Amerikaner schon am Frankenberg seien.
Bei Schamman hat sich der Stab mit großem Gefolge niedergelassen, bei Lechner ist ein Reservelazarett eingerichtet, große Verluste, die Soldaten bringen allerlei Gerüchte mit.
Am Samstag zum Rebenniederziehen in den Weinberg. Feindliche Artillerie beschießt den Nordabhang der Weinberge (Weigenheimer Hölzchen), noch immer Ausräumen, Verstecken, Vergraben.
Sonntag. Der letzte Sonntag, da die Familien noch beisammen wohnen. Gegen abend kommen zwei deutsche Panzer von Seenheim her und gehen im Dorf in Deckung: beim Feuerwehrhaus und westlich des Schulhauses/Kirche. Großer Auflauf und Aufregung. Flieger am Himmel. Die Panzer fahren nachts wieder ab. Ruhelose und schlaflose Nacht. Fahrzeuge mit dem nötigsten Hausrat fahren durch, die Not und Verzweiflung hat sie aus Gollhofen fortgetrieben. Die Nächte sind von Feuerschein erhellt in verschiedenen Richtungen.
Montag. MG-Feuer näher. Amerikanische Artillerie schießt sich ein über die Weinberge bis zur Staatsstraße.Jakob Spath wird beerdigt, letzter Gottesdienst in der Kirche und letzte Predigt von Herrn Pfarrer Dittmar, das letzte Mal Orgelspiel.Die Wasserfässer werden für den Notfall gefüllt, die Feuerwehrgeräte auf zwei Stellen im Dorf verteilt. Das Wichtigste aus der Kirche wird in Sicherheit gebracht. Die Artillerieeinschläge sind sehr nah. Die erste Nacht im Keller. Der westliche Dorfeingang wird beschossen, Einschläge in Wiesen und Äcker. Gegen Morgen wird die Scheune von Götz (obere Wirtschaft) in Brand geschossen. Feuerwehr in Tätigkeit. (Dies sollte eine Warnung sein und die Aufforderung zur Übergabe).
Nachmittags wieder Artilleriefeuer, Scheune und Ställe bei Rothkirch Hans und Gümpelein brennen. Die Feuerwehr tritt noch einmal in Tätigkeit. Anna Glück, geb. Rothkirch und Leonhard Stütz werden durch Granatsplitter schwer verwundet bei Lechner, ins Sanitätsauto gebracht und nach Neustadt ins Lazarett verbracht. Beide sind dort verstorben und im Heimatfriedhof beerdigt. Frau Gümpelein wird von einstürzenden Mauern und Balken erschlagen und erst nach einigen Tagen gefunden. Die Schwägerin von Georg Weinmann Haus-Nr. 48 wird von einem Sprengstück tödlich getroffen.
Während der Löscharbeiten über dem Dorf Artilleriebeobachter. Brand- und Löschwasserstellen werden erneut beschossen. Durch Granatschüsse mehrere Häuser beschädigt. Soldaten fahren hin und her und flüchten in die Wälder. Neue Einheiten werden eingesetzt, durch LKW angefahren.
Abends Tieffliegerangriff auf Stellung an der Kreuzstraße und Weinberg. Ein gefallener Volkssturmmann wird nachts ins Dorf gebracht und in die Kirche gelegt. Dorngrund und Bergholz brennen noch während der Nacht. Nachtfeuerwache wird aufgestellt. Schauriger Anblick!
Trockenes Wetter, warm, kein Strom und elektrisches Licht. Soldaten gehen geschlossen wieder vor.
Mittwoch. Von 1/2 12 Uhr bis 4 Uhr dauernd Beschuß mit Spreng- und Brandgranaten. Die Straßenseite Geuther-Pröschel-Decker ist ein Feuermeer. Die Leute retten bei großer Lebensgefahr das Wichtigste und fliehen vor der großen Hitze. Losgemachtes Vieh läuft wild und scheu umher. Viel Vieh, das nicht mehr losgemacht werden konnte, muss elend verbrennen. Machtlos steht man dem Feuer gegenüber.
Sehr viele Einschläge im Unterdorf und in den Wiesen längs der Gollach. Unheimliches, banges Gefühl in den Kellern: man hört den Abschuß, das Pfeifen der Geschosse und fürchtet den Einschlag. Am Pfarrhaus, im Pfarrhof und rings um unser Haus und Hof viele Granattrichter.
Pfarrer Dittmar wird durch Sprengstück schwer verletzt, ebenso Frau Weinmann Haus-Nr. 82. Pfarrer Dittmar wird am Samstag ins Uffenheimer Krankenhaus verbracht, wo er stirbt.
Morgens 4 Uhr fahren noch sechs deutsche Panzer in die Ortschaft und suchen günstige Stellungen an den Ortsrändern und in den Weinbergen. Bei Tagesanbruch bietet das Dorf ein Bild des Grauens. Angeschossenes und verendetes Vieh liegt allenthalben massenhaft umher, zum Teil grässlich verstümmelt, manche wollen noch mit den frei Umherlaufenden mit. Abgeschossene Bäume, Telefon- und Elektrodrähte, Balken, Steine liegen durcheinander, zahlreiche Granattrichter, ausgebrannte Häuser und Gehöfte, allen Leuten stehen die Schrecken ins Gesicht geschrieben, man spricht sehr wenig.
Amerikanische Panzer brechen unterhalb der Kreuzstraße von Gecken- heim her durch in Richtung Rudolzhofen, Mörlbach, Endsee, lassen
Uffenheim rechts und Ulsenheim links liegen. Fünf amerikanische Panzer werden seitlich der Straße durch Panzerfaust und durch Beschuss ausgeschaltet. Mittag Panzerduell zwischen Uffenheimer Straße und Weinbergen, einige Weinbergshäuschen werden zusammengeschossen. Beschuss eines deutschen Panzers, der in Richtung Herbolzheimer Holzspitze flüchtet. Artilleriebeobachter fliegt auf das Dorf zu, plötzlich Einschläge bei Schweizer, unser Russe Andrej liegt tot hinter dem Wasserwagen in unserem Hof zwischen Hausecke und Brunnen, eine Granate hat hart neben dem Brunnen eingeschlagen.
Es brennt bei Michael Weinmann, Kirchturm, Wüchner, Schweizer, Tyrach, Ehrmann, Heß usw. Man hilft sich gegenseitig, soweit dies möglich ist auch während der Nacht. Mit bangen Gedanken sieht man der nächsten Nacht entgegen. Feindliches Flugzeug wirft zwei Bomben in die Wiese von Brantz am östlichen Dorfrand, der ganze Erdboden erzittert.
Nachts ein Uhr holt Christian zusammen mit Hauptlehrer Hoerner aus der brennenden Kirche Kronleuchter, Kruzifix, Altarkerzen. Die Lindenbäumchen an der westlichen Kirchhofsmauer alle mehr oder weniger beschädigt.
Donnerstag. Kirchenschiff fängt an, hellauf zu brennen, gefährlicher Funkenflug, da alle Fenster zerbrochen sind und die Dächer wie Siebe aussehen. Balken, Empore und Orgel in der Kirche stürzen krachend zusammen. Gegen Mittag erneut unerwarteter Beschuss, alles flüchtet schnell in die Keller. Staub, Rauch und Ziegelsteine wirbeln durcheinander.
Etwa um 1 Uhr schlägt eine Granate in unsere mittlere Scheune durch bis auf die Tenne. Wiesenstreu usw. fängt sofort Feuer, unbeschreibliches Getöse durch fallende Balken, Ziegel, Prasseln des Feuers, der ganze Hof voll Rauch und Staub zum Ersticken. Wir bringen zunächst das Wichtigste in Kisten und dergleichen zur Gartenhecke und führen unsere arme
Mutter dorthin. Pferde und Vieh wird abgekettet und ins Freie gejagt. Die Leute suchen Schutz an der Ostwand des Stalles von Brantz. Wir haben Südwestwind. Christian und ich wollen löschen, ich mit Minimax und Wassereimer. Christian holt die kleine Feuerspritze und Schläuche, jedes einzeln, er will noch ein Wasserfass holen, wird jedoch von Tieffliegern überrascht, muss ausspannen und sucht auch Deckung an der Stallwand. Auch ich muss meine Tätigkeit einstellen, 12 Tiefflieger kreisen sehr nieder über dem Dorf und schießen pausenlos herunter mit Phosphormunition auf die Gehöfte, auf umherlaufendes Vieh und Pferde, ein Vernichtungsfeuer, das nichts mehr schonte, es sollte gar nichts mehr übrig bleiben. An allen Ecken und Enden unaussprechliche Hitze und unbezwingbare Feuersbrunst. Ganze Dorfviertel und Straßenzüge versinken langsam in den Flammen, ohne dass man das Vieh noch hätte retten können.
Überall versucht man noch etwas zu retten, doch vor den vielen Funken ist es nirgends sicher. Mit großer Mühe können wir Holzlege und Stall erretten, obwohl schon Balken glimmten. Pferde und Vieh waren erbarmungslos den Tieffliegern preisgegeben und musste zum größten Teil elend umkommen. Frau Klein Haus-Nr. 57 (eine geborene Oechsner aus Custenlohr) kam im Feuer um.
Nachdem das Dorf fast ganz gebrannt hatte, flogen die Tiefflieger ab nach Herbolzheim und beschossen das Dorf mit Brandmunition, dass es im Nu brannte.
Beladene Wägen wurden noch immer in den verschiedensten Richtungen aus dem brennenden Dorf gefahren, niemand will mehr die Nacht in der brennenden Ortschaft bleiben, alles flüchtet in Gräben, Hohlwege und in die Weinberge. Wir flüchten uns in die Fichtkulturen Lechner, Wüchner, Schwab 73. Decken und Essensvorrat haben wir mitgenommen. Nachts leichter Regen. Eine unvergessliche Nacht: vor uns das Dorf, ein einziges Feuermeer. Das Haus Kister Nr. 1 fängt in der Nacht noch Feuer und das ganze Anwesen brennt ab. Artilleriefeuer über uns hinweg auf weite Entfernung.
Christian geht bei Tagesanbruch ins Dorf. Etwa um 9 Uhr kommen amerikanische Panzer aus östlicher Richtung und fahren an der Weidigswiesen-Kleines Flürlein rechts auf und bleiben stehen. Erst nach längerer Zeit, nachdem sie sich vergewissert haben, dass kein Widerstand mehr zu erwarten ist, fahren sie in das Dorf.
Ich gehe nun auch zurück ins Dorf. Nachdem die ersten Panzer das Dorf in westlicher Richtung durchfahren haben, kommen andere Panzer in östlicher Richtung in großer Masse und fahren hinter unserem Haus vorbei über Wiese und Acker von Brantz zur Herbolzheimer Straße.
Anmerkung. Die vorliegenden Aufzeichnungen wurden Ende 1945 von meinem Großvater, Ludwig Seufferlein, seinerzeit 63 Jahre alt, festgehalten. Wenn auch ein Dreivierteljahr zwischen den Ereignissen und deren Aufschreiben liegt, dürften diese so eindrücklich gewesen sein, dass an dem Wahrheitsgehalt der Schilderung kaum zu zweifeln ist.
zusammengetragen von Hans Brantz
St. Jakobuskirche zu Ulsenheim
Vor der Zerstörung im Jahr 1945
Erntedankgaben im Altarraum um das Lesepult
Innenraum mit Altar und Kanzel
Da steht nicht mehr viel!
Im Inneren mit freiem Blick zum Himmel
Blick auf den Altarraum