Lassen wir Zeitzeuge 
Johann Rothkirch zu Wort kommen.

Lassen wir uns mit hineinnehmen, 
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche. 

Johann Rothkirch (1892-1976)

Chronologische Aufzeichnung der Zerstörung vom 1. April 1945 bis 13. April 1945 | Quelle: Bericht aus den Uffenheimer Geschichten, Band 5, Jahr 1984

Vorwort 

Für uns, die wir die Schreckenstage miterlebt haben, brauchen diese kaum ins Gedächtnis zurückgerufen werden, denn sie waren so bitterernst und schwer, dass wir sie im Leben nie vergessen werden. Ich befürchte sogar, dass wir kaum vernarbte Wunden wieder aufreißen, vor allem bei denen, die eines ihrer Lieben verloren haben; aber auch bei den vielen, vielen, die vor zerstörtem Haus und Hof standen und in das Grab ihres Glückes blickten. 

 

Wenn ich in nachfolgenden Zeilen, die eigentlich nur für mich geschrieben waren, versuche, unseren heimgekehrten Kriegern und unserer heranwachsenden Jugend eine Schilderung des Kriegsgeschehens in unserer Gemeinde zu vermitteln, so kann das natürlich kein erschöpfender Bericht sein, der alle Einzelheiten aufzählt, sondern nur in groben Umrissen die von Tag zu Tag fortschreitende Zerstörung in unserer  

Gemeinde festhält, die ihren Höhepunkt am 12. April nachmittags durch den Fliegerangriff erreichte. 

Es wäre deshalb erwünscht, dass auch andere Gemeindemitglieder ihre Erlebnisse und Eindrücke zu Papier bringen, damit eine große Ortschronik zustande kommt, die später einmal für unsere Nachkommen wertvoll ist. 

 

Wenn ich hier in einzelnen Fällen meine Erlebnisse schildere, so sei dies wie ein Bild, wie es wohl viele Gemeindemitglieder in ähnlicher Weise erlebt haben. Von dieser Sicht aus begreifen wir den Liedvers, den wir heute morgen im Gottesdienst hörten (er ist in der Notzeit des dreißigjährigen Krieges entstanden) 

,,Wenn wir in höchsten Nöten sein, Und wissen nicht, wo aus noch ein, Und finden weder Hilf noch Rat, ob wir gleich sorgen früh und spat." 

Created with Sketch.

Ich habe immer ein Projekt, an dem ich arbeite. Meistens für meine Kunden. Von Zeit zu Zeit ist es aber auch ein persönliches Vorhaben, das mich neue Inspiration gewinnen lässt.

1. April 1945 - Ostersonntag

Seit einigen Tagen und Nächten ist man in ständiger Aufregung durch die zurückflutenden deutschen Streitkräfte und zu verlegenden Genesungs- und Verwundetenverbände; wahrlich kein erhebender Anblick. Einquartierungen  lösten sich ab, die einen gingen, die andern kamen.

 

2. April 1945 - Ostermontag

Am Ostermontag nachts um 1 Uhr (früh) mussten von unserer Gemeinde wieder Gespanne gestellt werden zum Weiterbefördern einer lnfan-terieabteilung, die in halber Ausbildung (ohne Gewehr) aus Kärnten und Steiermark hierher beordert wurde und nun immer zu tun hatte, dass sie der nachrückenden Front entkam.

Ich habe diese Fahrt selbst mitgemacht bis Sugenheim und dieses dabei erfahren. In Sugenheim habe ich mich geweigert, mit meinem alten Pferd weiterzufahren, die übrigen mussten bis Langenfeld. Tags vorher waren schon Fuhrwerke von hier nach Neustadt (Namen sind mir unbekannt) unterwegs und noch nicht zurückgekehrt.

 

Bei Tage war fast nicht mehr zu fahren wegen Tieffliegergefahr (in der Kolonne überhaupt nicht mehr). Während dieser Nachtfahrt sah man in Richtung Markt Einersheim - Nenzenheim schon das Aufblitzen von Geschützfeuer und Bränden.

 

Als ich gegen 10 Uhr früh wieder heimkam, ließ ich die Feuerwehr nochmals zusammenkommen, denn ich ahnte nichts Gutes. Auf meine Veranlassung wurden an diesem Tage die wichtigsten und wertvollsten Maschinen ins Freie gebracht. Sie blieben so wenigstens zum größten Teil erhalten.

 

Kaum eine Nacht konnte man noch ungehindert schlafen, durch den dauernden Verkehr vom und zum Frontgebiet, das heute bei Oberickelsheim - Gollhofen gemeldet wurde. Es kamen auch schon die Hiobsbotschaften aus der näheren und weiteren Umgebung; die Feuersbrünste, die den nächtlichen Himmel glutrot färbten, ließen uns das Schlimmste ahnen.

 

Der hiesige Volkssturm war Tag und Nacht mit Doppelposten auf Wache, um den durchfahrenden Kolonnen den Weg zu zeigen und nachts die Verdunklung der Fahrzeuge zu überwachen, damit nicht durch die großen Scheinwerfer der Autos ein Fliegerangriff herbeigeführt würde. Die Verdunklung der Häuser, die mir immer viel Sorge machte (ich war dafür verantwortlich) klappte seit 6. Mai 1942 besser, seit jener Nacht, als in unserer Flurmarkung „Rümpler" drei schwere Fliegerbomben fielen, wodurch in der Ortschaft große Aufregung entstand.

 

3. April 1945 - Osterdienstag

Heute wurden Fuhrwerke von hier weggeholt um fürs Militär zu fahren, nämlich Fritz Thorwart, Jakob Spath und Karl Hauf. Sie wurden bei Tauberzell freventlicher Weise zum Munitionsfahren verwendet, wobei Jakob Spath durch einen Tieffliegerangriff den Tod erlitt (7. April). Am 8. April wurde er von Dornberger und Hans Glück unter großen Schwierigkeiten heimgeholt und am Montag, dnm 9. April auf dem hiesigen Friedhof von Herrn Pfarrer Dittmar (schon unter Lebensgefahr) beerdigt. Pfarrer Dittmar wurde in der Nacht vom 10. auf 11. April früh 1/2 3 Uhr selber tödlich verwundet. Diese Leichenpredigt (Dekan Riedelbauch, Uffenheim) war der letzte Gottesdienst in unserem alten Gotteshaus.

7. April 1945 - Samstag

Früh um 1 Uhr fuhren zwei schwere deutsche Panzer (die ersten) von Herbolzheim kommend durch das Dorf, mit einem Geräusch, dass alles vom Schlaf aufwachte. Am Ortsausgang gegen Uffenheim (Gartenecke Götz) fuhren sie rechts ab in Richtung Kappelberg, wo sie einige Tage in Feuerstellung waren. Georg Heß musste am Sonntagmorgen vor Tagesgrauen die Spur, die sie quer 

durch die Äcker hinterließen, mit einer Egge wieder einebnen, um dem Feind das Auffinden nicht so leicht zu machen; meines Erachtens auch ein Zeichen von Schwäche. 

8. April 1945 - Sonntag

Gegen Abend kamen weitere Panzer aus Richtung Seenheim ins Dorf und nahmen an der Kirchhofsmauer beim Feuerwehrhaus Deckung, denn es waren fast immer feindliche Flieger in der Luft. 

 

Für die Dorfjugend, die in Scharen zusammenlief und umherstand, war das ein freudiges Erlebnis, Panzer zu sehen, denn sie ahnten die Gefahr nicht; für uns alte Krieger aber war das Anlass zu ernster Besorgnis. Wir wussten ganz genau, dass die Verteidigung unserer Ortschaft nur unser Unglück sein konnte.

9. April 1945 - Montag

 

Abends 10 Uhr, als ich im Begriff war, in Nachbar Dollingers Keller zu gehen, die Granateinschläge waren in bedenklicher Nähe in Richtung Weinberge zu hören, kam ein SS-Unteroffizier zu mir und verlangte einen Volkssturmmann als Führer zum Julianenhof bei Frankenberg,  wohin er mit acht Fuhrwerken Verpflegung bringen sollte. Die Ortschaften Weigenheim und Reusch waren nicht mehr zu passieren, weil sie bereits besetzt oder gefährdet waren. Er wollte also auf Feldwegen dorthin geführt werden, was ich ihm angesichts der Gefahr - der Weg lag ja schon im Schussbereich der Artillerie - verweigerte mit dem Hinweis, dass ich über das Leben meiner Volkssturmkameraden nicht so freventlich verfüge. Es kostete mich viel Mühe, sie nach Markt Nordheim zurückzuweisen, um von dort aus durch die Wälder ihr Ziel zu erreichen. Heute Nachmittag wurde Fritz Haager am Geckenheimer Weg beim Kartoffellegen von Granatfeuer vertrieben, einige Schuss gingen schon in die Nähe des Dorfes. 

 

Die Nacht vom 9./10. April verbrachten wir erstmals zusammen mit  

Schwabs (Michael), Pröschels und Filimonows im Keller unseres Nachbarn Dollinger. Gegen Abend waren Verwundete vom Frontgebiet bei Gollhofen gekommen, sie suchten den Truppenverbandsplatz, der bei Friedrich Lechner eingerichtet war.

10. April 1945 - Dienstag

 Gegen 5 Uhr früh tönte der Ruf „Feuer" durch die Ortschaft; die Scheune von Karl Götz stand, von einer Brandgranate getroffen, in hellen Flammen. Die Feuerwehr war sofort (unter meiner Führung) zur Stelle und durch tatkräftiges Zugreifen aller (nicht nur der Feuerwehrmannschaft) konnte das erste Schreckensfanal in unserer Gemeinde gebannt, die erste Feuersbrunst auf ihren Herd beschränkt werden. 

Das Wohnhaus von Karl Götz und der Stall, sowie das Wohnhaus von Georg Trabert, die bereits von Sprenggranaten getroffen waren, konnten noch gerettet werden. 

 

Als die Gefahr beseitigt war, ließ ich die Feuerwehr unter Zurücklassung einer Brandwache einrücken. Weitere Gefahr ahnend bat ich, alle Wasserfässer (Jauchefässer) sofort wieder mit Wasser zu füllen, um für weitere Fälle gerüstet zu sein. 

Einen beladenen Heuwagen, den ich im Garten stehen hatte, fuhr ich unter Mittag in den Gänswasen. In letzter Hast habe ich einige Säcke Saatkartoffeln, etwas Brotgetreide und Hafer dazu geladen. 

 

Was ich ahnte, traf schon nach einigen Stunden ein. Gegen 14 Uhr setzte Artilleriebeschuss ein und meine Scheune, von einer Brandgranate getroffen, brannte im Nu lichterloh. In lobenswerter Schnelligkeit war auch hier die Feuerwehr zur Stelle und durch tatkräftiges Zugreifen und dank einer günstigen Windrichtung konnte auch dieses Schadenfeuer auf seinen Herd beschränkt werden. Von hilfsbereiten Menschen wurde das Vieh in Sicherheit gebracht und das Wohnhaus ausgeräumt.  

Das Löschen ging nun nicht mehr so ungehindert wie in der Frühe. In nächster Nähe einschlagende Granaten zwangen die in Lebensgefahr stehende Löschmannschaft, meist Mädchen, die in den letzten Jahren, wie überall in der Hei Heimat so auch hier, die Lücken der zum Heeresdienst einberufenen Burschen ausfüllen mussten, immer wieder in den umliegenden Kellern Schutz zu suchen. 

 

An der großen Spritze waren eingeteilt: 

Johanna Alt, Marie Weinmann, Meta Meyer, Frieda Lechner, Betty Schwab, Tina Dollinger, Betty Dingfelder und Frieda Hirt. 

Nach den Augenblicken höchster Gefahr griff ein, wer dazukam, so auch Herr Pfarrer Dittmar, Herr Hauptlehrer Hoerner, sie halfen z.B. beim Pumpen an der großen Spritze. 

Die kleine Spritze war kaum in meinem Garten aufgefahren, als eine Granate 20-25 Meter nebenan einschlug und die Bedienung (meines Wissens: Reta Dollinger, Anna Stein, Lotte Jacob, Gretel Schwab, Elise Reiß) blieb wie durch ein Wunder unversehrt. 

 

Der Hydrophor war eben im Begriff im Pröschels Hof Aufstellung zu nehmen, als in nächster Nähe der Ruf „Feuer" ertönte. Ein Granattreffer hatte die Scheune von Michael Gümpelein in Brand gesteckt. Ich gab sofort Anweisung, dort einzugreifen. Es gelang auch, Stall und Wohnhaus zu retten, die jedoch  zwei Tage später beim Tieffliegerangriff ein Raub der Flammen werden sollten. 

 

Das geschlossene Eingreifen der Feuerwehr wurde nun von Stunde zu Stunde durch den dauernden Beschuss immer gefährlicher, das Anfahren von Wasser aus der Gollach kam ins Stocken, die ersten Schwerverwundeten, Leonhard Stütz und Anna Glück, brachten neue Panikstimmung ins Dorf. 

Leonhard Stütz ging, als die Lage immer gefährlicher wurde, vom Brandplatz bei mir weg und wollte in Dornbergers Keller Schutz suchen. Als er dort den Hof betrat, schlug eine Granate neben ihm ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Meine Schwester, Anna Glück, wahrscheinlich durch die Erschütterung des Hauses geängstigt, entfernte sich mit ihren beiden Kindern und anderen Personen aus Dornbergers Keller, um im Freien Schutz zu suchen. So wurde ihr am Ortsausgang Richtung Seenheim ebenfalls durch eine Granate das linke Bein abgeschlagen. Johann Ehrmann leistete ihr Erste Hilfe, Georg Heß half, sie zurück ins Dorf zum Militärverbandsplatz zu bringen, wo ihr ein deutscher Militärarzt einen Notverband anlegte; ebenso meinem Schulkameraden Georg Stütz. Unsere Gemeindeschwester, Frieda Neeser, nahm sich ihrer nun in liebevoller Weise an, bis sie gegen Abend das Sanitätsauto nach Neustadt/Aisch mitnahm, wo beide am nächsten Tag verstarben. 


Am Abend des ersten Angriffstages hatten wir: 2 tödlich verletzte Ortseinwohner (Georg Stütz und Anna Glück), 1 toten Volkssturmmann (Georg Herdegen), einen Hitlerjungen aus Fürth, der an der Uffenheimer Straße fiel und hier in der Kirche aufgebahrt wurde, 3 abgebrannte Scheunen. 

 

Als gegen Abend der Brand gelöscht war, brachten wir unser Vieh, das im Hof von Georg Weinmann Nr. 48 untergebracht war, zurück in den Stall, die erhalten gebliebene Wohnungseinrichtung zurück ins Haus, hoffend und bangend, was wohl die nächsten Stunden bringen würden. 

Kaum hatten wir unser Vieh notdürftig versorgt, flammte das Feuer an meiner und Gümpeleins Scheune wieder auf und zwang mich mit einigen Nachbarn und solchen, die mir vom Nachmittag her noch treu geblieben waren, die Bekämpfung des Feuers wieder aufzunehmen. 

 

Ich erinnere mich dankbar an einen Soldaten Klopf aus Albertshausen, an Hermann Wüchner, Hans Höchamer, die ich angesichts der Gefahr öfter in Deckung bringen wollte, was sie jedes Mal ablehnten. 

 

Als ich nachts von einer Feuerwache abgelöst wurde, begab ich mich todmüde mit meiner Familie in Nachbar Dollingers Keller. Das Artilleriefeuer hatte gegen Abend nachgelassen. 

 

Kurz vor Mitternacht setzte ein neuer Feuerüberfall ein, der die ganze Nacht hindurch in kurzen Abständen anhielt. Die Feuerwache konnte sich im Freien nicht mehr halten und wie mir deren Führer, Georg Endreß, berichtete, blieb sie wie durch ein Wunder unverletzt, als sie im Begriff war, ein Wasserfaß herbeizuschaffen und in nächster Nähe eine Granate einschlug. 

 

Kurz nach Mitternacht brauste ein Flieger über das Dorf, ein kurzer Feuerstoß und auch Pröschels Scheune brannte lichterloh. 

 

In dieser Nacht, früh 1/2 3 Uhr, wurde unser Herr Pfarrer Hans Dittmar schwer verwundet. Er wollte bei Michael Weinmann Vieh bergen helfen. Als er in seinen Keller zurückkehren wollte, wurde er unter der Tür von einem Granatsplitter schwer getroffen. 

 

Kurz darauf wurde Margarete Weinmann Haus-Nr. 82 im Pfarrhauskeller durch Splitter am Fuß verwundet. Die Insassen dieses Kellers wurden aber noch vor großem Unglück bewahrt; eine schwere Granate hatte unter dem Wohnzimmer die Grundmauer durchschlagen und es war ein großes Glück, dass sie nicht bis zum Keller durchgedrungen war. Rings um das Pfarrhaus lagen in unmittelbarer Nähe sechs schwere Einschläge. Keine Haustüre und kein Fenster war mehr 

ganz, das Treppenhaus (überbauter Vorplatz mit Treppe vor der Haustüre des Pfarrhauses) war weggerissen. 

Als die Scheune von Keerl brannte, trug der Wind einen brennenden Strohbüschel durch ein offenes Fenster an der Südseite ins Pfarrhaus in ein Zimmer und dort in die Nähe eines Bettes. Nur dem Umstand, dass dies rechtzeitig bemerkt wurde, ist es zuzuschreiben, dass das Pfarrhaus erhalten geblieben ist. 

11. Aril 1945 - Mittwoch

Am Morgen des 11. April zeigten sich nun die Folgen des Beschusses. Die Scheunenreihe von Kötzel bis Hirschmann einschließlich der Wohnhäuser Decker und Kötzel waren verschwunden. 

 

Gegen Morgen hörte man von Herbolzheim her Panzergeräusch. Nachdem auch der Artilleriebeschuss nachgelassen hatte, vermutete man, es seien die Amerikaner, was wir sehr begrüßt hätten, damit endlich der sinnlose Kampf aufgehört hätte. Aber leider waren es Deutsche, die zur Verstärkung hierher beordert wurden. Und was wir ahnten trat ein. Der gegenseitige Kampf verschärfte sich im Laufe dieses und des nächsten Tages. 

 

Wenn ich nachstehend wieder ein persönliches Erlebnis aufzeige, so bitte ich dieses nicht falsch zu verstehen. Ich möchte damit nur zum Ausdruck bringen, wie sich nicht nur in meiner Familie, sondern in so vielen, vielen ähnliche und noch viel schlimmere seelische Erschütterungen abgespielt haben, die mir bis heute unbekannt geblieben sind. 

 

Erwähnen muss ich hier den Fall der Familie Fuchs. Der Familienvater war schwer krank, er musste einige Tage nach der Operation von Keller zu Keller getragen werden; ebenso unser Herr Pfarrer Dittmar, der schwer verwundet von seiner Familie in fremde Keller und zuletzt sogar ins Freie gebracht werden musste. Solche Fälle kann man nicht übergehen mit einer Bemerkung in der Chronik: ,,Heute Nacht wieder Artillerie-Feuer". 

 

Am Nachmittag kam Artilleriefeuer, Salve auf Salve. Kaum waren wir wieder in Dollingers Keller, als eine Granate in nächster Nähe einschlug und das Anwesen von Michael Schwab Nr. 46 in Brand steckte. Auch die Scheune des Nachbarn Georg Weinmann fing Feuer. Seine Schwägerin, Betty Saemann, wurde vor dem Kellereingang durch Granatsplitter getötet. Das Feuer griff weiter um sich, auf das Anwesen von Fritz Seemann, Stall und Schweineställe von Georg Schmidt Nr. 47 brannten, Scheune und Wohnhaus konnten nur mit Mühe und Not gerettet werden, im letzten Notfall wurde mit Jauche gelöscht. 

 

Die Anwesen von Filimonow, Johann Burkholz und Michael Geuther erleiden das gleiche Schicksal und brennen vollständig nieder. Johann Meyer und Georg Heß verlieren Scheunen und Stallungen. 

 

Auch im nördlichen Teil des Dorfes begann die Zerstörung und griff rasch um sich. Die Scheune von Michael Weinmann wird getroffen und geht in Flammen auf, der Kirchturm brennt, das Anwesen von Tyrach, die Scheune von Schweizer, Scheune nebst Pferde- und Schweinestall von Ludwig Saemann, das Anwesen Blädel und die Scheune von Fritz Höchamer, alles wird ein Raub der Flammen. 

 

Die Anwesen Schott und Keerl liegen in Trümmer. Als die Schweineställe und Halle bei Johann Schweizer brennen, gelingt es beherzten Männern, das Wohnhaus von Michael Weinmann zu retten, wie mir der derzeitige Bürgermeister Schweizer berichtet. Es waren ihm hierbei behilflich: Georg Endreß, Fritz Haager, Ramsauer und Dörfner, letztere beide aus Nürnberg. Der Besitzer selbst war nach Verwundung seiner Frau in die Siedlung Wüstphül geflüchtet. 

 

Gegen Abend fallen am Ostrand des Dorfes in die Brantz'sche Wiese zwei große Fliegerbomben; die Ortschaft blieb jedoch vor großem Unglück bewahrt. Nur dem Umstand, dass beide in den weichen Wiesenboden sehr tief eindrangen, ist es zu verdanken, dass die Dach- und Fensterschäden bei Seufferlein, Rothkirch Georg und Brantz in Grenzen blieben.  


Ein Überblick über die Verheerungen des 2. Kampftages zeigt uns folgendes Bild: 3 Tote: Betty Saemann, Leonhard Stütz und Anna Glück; 1 Schwerverwundeter: Pfarrer Hans Dittmar; 1 Leichtverwundete: Margarete Weinmann Nr. 82; Kirchturm, 2 Glocken und Turmuhr zerstört; 7 Wohnhäuser, 19 Stallungen, 23 Scheunen, liegen in Schutt und Asche. 

12. April 1945 - Donnerstag

In der Nacht zum 12. April war es wieder etwas ruhiger. Am nächsten Früh (Donnerstag), als wir von Lechners Keller in unser Haus zurückkehrten, wurden wir in unserem Hausplatz durch eine Geschoßgarbe von Bordwaffen eines feindlichen Fliegers überrascht. Die Geschosse schlugen durch die Dach- und Zimmerdecke und fielen in unserem Tennen vor mir nieder. Glücklicherweise kamen wir mit dem Schrecken davon.

Schnell versorgten wir notdürftig unser Vieh und gingen zurück in Lechners Keller. Hier erlebten wir, wie wohl alle die noch in der Ortschaft waren, die schrecklichste Stunde eines Fliegerangriffs. Mit Phosphor wurde das ganze Dorf überschüttet. Nach einigen Minuten stand fast alles, was das Artilleriefeuer der vergangenen Tage überdauert hatte, in hellen Flammen. Etwas zu retten war kaum mehr möglich. Viel Vieh, das noch abgekettet wurde, war nicht mehr aus den Ställen zu bringen. Bei manchen war überhaupt nicht mehr beizukommen, die Tiere gingen in den Flammen jämmerlich zugrunde, in einem Stall 25 Stück.

Schließlich trieb auch uns das Feuer bei Lechners aus dem Keller und, wie viele vorher, suchten wir Zuflucht im Freien zwischen brennenden Häuserreihen. Wir gingen nun, an der Gollachböschung immer wieder Deckung nehmend, ein Stück gegen Uttenhofen bis unterhalb des Fischweihers. Dort lagen wir einige Stunden und mussten hilflos das schreckliche Wüten des Feuers beobachten.

Wieder andere waren gegen die Weinberge oder an die Lehmgrube geflüchtet und suchten in Gräben Deckung.

Als nach einiger Zeit das Artilleriefeuer und die Fliegerbomben gegen Herbolzheim verlegt wurden, sah man auch diese Ortschaft fürchterlich brennen. Auch hier gaben die Flieger dem Vorhandenen noch den Rest. 

Als ich mit meiner Familie gegen Abend ins Dorf zurück ging, mutete es mich wie ein Wunder an, dass unser Haus noch stand. Aber so wird es auch anderen gegangen sein, denn niemand glaubte, dass da noch etwas stehen geblieben ist. Wir gingen zu unserem Anwesen, der Beschuss hatte nachgelassen. Ich sah mich nach etwaigen Brandherden um. An den Schweineställen schloss ich die Fensterläden, damit das Stroh nicht mehr zu allen Seiten herausschaute und dem gefährlichen Funkenflug der Zutritt verwehrt wurde. 

 

Viele Ortsbewohner gingen an diesem Tag nicht mehr ins Dorf zurück, da sie einen weiteren Feuerüberfall fürchteten. Sie  verbrachten  die  Nacht  außerhalb des Dorfes in Wassergräben, Rübenlöchern, im Düll'schen Kellerhaus oder in den Weinbergen, bei manchen drohten die Nerven zu versagen. 

 

Ich ging mit meiner Familie, Gott sei Dank noch vollständig, zu meinem Bruder­ der in den Keller. Als ich hinten die Gärten hinunterlief, sah ich im Seufferleins Garten noch einen SS-Panzer. Auf meine Frage: ,,Was, ihr seid immer noch da, reicht es für uns noch nicht?" sagte einer: ,,Wenn der Befehl kommt zum Abrücken, dann gehen wir." Während ein anderer frech antwortete: ,,Wir haben zu Hause auch nichts mehr!" Braucht ihr also auch nichts mehr, konnte man sich dazu denken. 

 

Bei Eintritt der Dämmerung wollte ich noch einmal in unserem Hof nachsehen. Ich fand auf dem Dachboden des Wohnhauses eine ganz gefährliche Brandstelle, ein Sparren an der Westseite war bereits durchgebrannt, ein auf einer Truhe liegender Bund Schindeln war am Entzünden. Es wäre wohl nur noch eine Frage von Minuten gewesen und es wäre auch um  

unser Haus geschehen gewesen. Tags zuvor, als die Feuerwehrspritze bei meinen Nachbarn Schmidt und Dollinger eingesetzt war, hielt ich unser Haus mit der Luftschutzspritze unter Wasser, wobei mir Maria Lechner und Anna Dollinger sehr behilflich waren, was ich noch dankbar erwähnen muss. 

 

Gegen halb elf Uhr in der Nacht hatte ich keine Ruhe mehr, ich musste von meinem Bruder aus noch einmal in unserem Anwesen Umschau halten. Meine Frau wollte mich angesichts der damit verbundenen Gefahr nicht aus dem Keller lassen. Ich ließ mich jedoch nicht irre machen, meine Tochter Marie war sofort bereit mich zu begleiten, so folgte mir zögernd auch meine Frau. 

 

Kaum auf der Straße, trafen wir zwischen Seufferlein und Schafscheune Granattrichter an Granattrichter, beim Pfarrhaus lag das weggerissene  Treppenhaus des Eingangs in Trümmern auf dem Weg, umherliegende Fetzen von Bäumen und Sträuchern sowie erschossenes Vieh versperrten uns den Weg. Mühsam bahnten wir uns einen Pfad durch die menschenleere, ausgestorbene Dorfstraße, nur vom Knattern und Knistern des Feuers begleitet. Angeschossenes und vom 

Brand tödlich verwundetes Vieh trieb sich vor Hunger und Schmerzen brüllend auf den Straßen und in den Gärten herum. Ein Bild des Grauens überall. 

 

Auch die Kirche - der Turm war bereits gestern abgebrannt - wurde ein Raub der Flammen. Morgens um halb drei Uhr brachten ungeachtet der Gefahr Hauptlehrer Hoerner und Christian Seufferlein aus der bereits brennenden Kirche in Sicherheit: das große Kruzifix bei den Mädchenstühlen, die Altarbibel, sämtliche Paramente, den Altarteppich, das neue Bahrtuch, die sechs Altarleuchter, das Altarkruzifix, Taufbecken und Taufkännchen, den Kronleuchter und Notenbücher für die Orgel. 
 

Als nach dem Zusammenstürzen der Kirche aufstiebender Funkenflug das Haus des Hans Triftshäuser in große Gefahr brachte, machten sich beherzte Männer, nämlich Hans Düll und Georg Rothkirch daran, das stark beschädigte Dach auszubessern, um so den drohenden Brand zu verhindern. Auch bei Grosch wurde ein angefangener Brand auf dem Dachboden vom Hausbesitzer rechtzeitig bemerkt und gelöscht und damit das Anwesen gerettet. 

 

Nach lang durchwachter Nacht im Scheunenkeller meines Bruders, wo durch das aufgerissene Dach Funkenregen der brennenden Anwesen Jacob und Georg Schwab ungehindert Zutritt hatte, jeden Augenblick fürchtend, dass auch hier noch die Scheune in Flammen aufgeht, erlebten wir wohlbehalten den neuen Tag, nachdem nach Mitternacht ein schwacher Regen niederging und die Gefahr des Funkenfluges geringer wurde. 

13. April 1945 - Freitag

Am Nachmittag gegen halb vier Uhr kamen die Amerikaner aus Richtung 

Markt Nordheim in unsere Ortschaft, dem rauchenden und brennenden Trümmerhaufen. Kampflos zogen sie ein.

Unten im Weidig (etwa 1,5 km vom Ort entfernt) schwärmten die Panzer, die bis dahin geschlossen auf der Straße anfuhren, aus, um sich vorsichtig dem Dorf in Gefechtsformation zu nähern, immer vorfühlend, ob sich noch Widerstand zeigte.

 

Überall zeigten sich weiße Fahnen, langsam kamen die Amerikaner näher. Sie sammelten sich auf der Straße beim Kindergarten und fuhren in geschlossener Formation unter Infanteriebegleitung ins Dorf ein. Als erstes durchsuchten sie die noch stehenden Häuser nach Soldaten und Waffen. Alle atmeten erleichtert auf, dass nun endlich die Kampfhandlungen zu Ende waren.

14./15. April 1945 - Samstag/Sonntag

In der Nacht von Freitag auf Samstag, also nach dem Einzug der Amerikaner, schliefen wir nach fünf Tagen zum ersten Mal wieder in unserem Haus. Nach Mitternacht schreckten uns schwere Artillerie-Abschüsse neuerdings auf und wir gingen wieder auf einige Stunden zurück in den Keller. Ein gefürchteter Gegenangriff unserer Wehrmacht, der unserer Ortschaft endgültig den Garaus gemacht hätte, kam glücklicherweise nicht mehr.

 

Gegen früh erfuhr man, dass schwere feindliche Artillerie bei Rudolzhofen - Neuherberg aufgefahren war. Sie richtete ihren Beschuss auf die Hauptstraße nach Ansbach (Bergeler Steige).

 

In den kommenden Nächten wurde ich mit meinen Nachbarn Weinmann und Hirschmann zur Brandbekämpfung am Wohnhaus von Büchlers gerufen, um dem immer wieder für die noch stehenden Gebäude gefährlichen Auflodern des Feuers Einhalt zu tun.

 

Am Samstag musste Schutt von den Straßen geräumt werden; nachmittags wurden die fünf Todesopfer in ein gemeinsames Grab von Herrn Hauptlehrer Hoerner eingesegnet. Die Gemeinde nahm daran teil in Kleidern, wie man eben gerade war, manche hatten ja überhaupt nur noch, was sie auf dem Leibe trugen. Also auch hier bei der Beerdigung ein Bild des Krieges.

 

Jeder, der konnte, musste nun in den nächsten Tagen helfen, das erschossene und verbrannte und zum Teil schon in Verwesung übergegangene Vieh einzugraben. Hier leisteten uns die vielen Granattrichter rings ums Dorf gute Dienste. Fast restlos konnten die Kadaver darin vergraben werden. Über zwei Tage war man damit beschäftigt und nur wer dabei war kann sich auch vorstellen, was dazugehörte, diese verbrannten und halbverwesten Tierleichen stückweise aus dem Schutt herauszuschaffen. Ein Geruch lag über der Ortschaft, dass man sich heute noch wundert, dass nicht die Pest ausgebrochen ist.

Bilanz der Schreckenstage in Ulsenheim

Die nachfolgenden Zahlen vermögen natürlich nicht auszudrücken, den unsagbaren Jammer und das Herzeleid, das diese Tage - hervorgerufen durch das unverantwortliche Verhalten der deutschen  Panzer - über unser Dorf brachten: 


7 Tote: Leonhard Stütz, Anna Glück, Betty Seemann, Elisabeth Klein, Andreas Schukow, Babette Gümpelein, Pfarrer Hans Dittmar


Total zerstörte Gebäude: 52 Wohnhäuser, 74 Scheunen, 72 Ställe

 

An Vieh ging verloren: 15 Pferde, 11 Ochsen, 63 Kühe, 100 Rinder, 6 Ziegen, 6 Schafe, 192 Schweine, ca. 600 Gänse, Enten, Hühner

 

Vermisst wurden 139 Stück Rindvieh und 19 Schweine. Sie sind wohl nur noch zum Teil wieder aufgefunden worden. Noch im Winter wurden einzelne Tiere in den Wäldern umherirrend angetroffen. 

Das zerstörte Dorf Mitte Aril 1945

Blick von Süden auf das zerstörte Anwesen Guckenberger. Rechts: Kirchturmstumpf und Wohnaus Saemann, Nr. 65

Anwesen Seufferlein, Haus-Nr. 79

Baracke für Familien ohne Obdach. Heute steht hier der Kindergarten.

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"Zerstörung"