Lassen wir Zeitzeugin
Frieda Spath zu Wort kommen.

Lassen wir uns mit hineinnehmen, 
in die Ereignisse um die Zerstörung des Dorfes und der Kirche. 

Frieda Spath (verh. Beider)

Wie die 15-jährige den Tod des Vaters, die Flucht aus dem Dorf und die Zerstörung ihres Elternhauses erlebte.
Quelle: Ihre Handschriftlichen Aufzeichnungen in den 90er Jahren

Der Krieg kam immer näher und wir wussten, dass er verloren war. Mein Vater hörte viel Radio. Dabei habe ich einen Satz von Hitler gehört „Eure Wohnungen werden luftiger und sonniger sein“. Dass musste ich am eigenen Leib erfahren. 

Auch der Feind kam immer näher. Man hörte auch schon die Panzer. Am nächsten Tag nach dem großen Bombenangriff auf Würzburg, im März 1945, fanden wir bei uns am Acker verkohltes Papier.  Immer mehr Fliegerangriffe gab es, dass oft der Himmel bei Nacht wie ein Flammenmeer aussah. 

Ostermontag 1945 kam Endreß und sagte zu meinem Vater: Jakob, du musst fort zum Munition fahren mit einem Pferd von Brantz und von Klein. Es waren auch noch zwei Fahrzeuge dabei. Meine Mutter und ich wussten nicht, wohin die Fahrt ging. Es war eine schreckliche Woche und wir hatten keine Antwort von meinem Vater. Wir hörten, wie der Feind immer näher vorrückte. Die Uffenheimer Bahnbrücke wurde gesprengt. Als wollten sie dadurch den Feind aufhalten!

Am Freitag, 6. April 1945 folgten bei uns schon die Tiefflieger. Am Samstag kam eine Frau aus Archshofen, zusammen mit Nachbar Stütz zu uns. Meine Mutter lag vor Kummer im Bett. Ich stand daneben, als Stütz zu ihr sagte, dass Jakob tot ist. Mutter sagte, dass sie schon etwas geahnt hätte. Die Frau sagte, dass Jakob in der Kirche zu Archshofen liegt und fragte, ob wir ihn holen könnten. Er wäre zwischen Tauberzell und Archshofen von den Tieffliegern erschossen worden, der Wagen und die Pferde sind explodiert. Vater lag im Graben. 

Die Nachbarn Dornberger und Glück machten sich mit einem Pferd und Wagen abends auf den Weg. Sie konnten am Tag nicht fahren. Die Hinfahrt verlief ganz gut. Vater lag aber nicht mehr in der Kirche. Sie hatten ihn in eine Kiste gelegt und in der Erde vergraben, denn der Feind  

stand vor der Tür. Die Rückfahrt war schon etwas gefährlicher. Auf einmal blieb das Pferd stehen. Dornberger und Glück stiegen ab und sahen, dass die Brücke gesprengt war. Sie mussten einen Umweg machen und kamen erst nach Mitternacht wieder heim. 

Wir stellten die Kiste in die Scheune. Am anderen Tag wollten wir einen Sarg machen lassen. Es war aber nicht möglich, denn Vater (47 Jahre) war von den Tieffliegern so getroffen worden, dass Kopf, Arme, Brust und ein Bein zersplittert waren. Herr Hübner (Schreiner) beschloss die Kiste anzustreichen. Unser Hund blieb in der Scheune und bewachte die Kiste.
 

Am Montag, 9. April 1945 war die Beerdigung unter großer Gefahr, denn der Feind stand ja schon vor der Tür. Es war der letzte Gottesdienst in der Kirche. Nur die zwei Brüder von meinem Vater waren dabei. 

 

Am nächsten Morgen wurde unser Dorf schon beschossen. Als erstes brannte bei Schurz-Götz die Scheune ab. Am Nachmittag folgte weiterer Beschuss. Wir verbrachten die meiste Zeit im Keller bei Dornbergers und gingen nur heim, um die Kühe und Schweine zu füttern. Auch da wurden wir von den Tieffliegern überrascht. 

Mittwoch war ein Beschuss nach dem anderen. Wir konnten den Keller sehr schlecht verlassen, um nach dem Rechten zu sehen. Nachmittags hat schon viel gebrannt. Nachbar Stütz kam gerade von einer Brandstelle zurück, da schlug eine Granate in Dornbergers Hof ein. Er wurde am Bein verletzt. Sie trugen ihn in eine Kammer, legten ihn aufs Bett. Er blutete so stark, dass das Blut auf dem Boden stand. 

Unterdessen ging Anna Glück mit Hans und Maja aus dem Keller ins Freie Richtung Seenheim. Da schlug wieder eine Granate ein. Sie wurde von einem Splitter am Bein betroffen. Kurz vorher hatte sie die kleine Maja (2 ½ Jahre) ihrem Sohn Hans gegeben. Beide Nachbarn wurden am  

gleichen Tag vom Militär nach Neustadt ins Krankenhaus gebracht. Sie starben beide am 11.04.1945 und wurden dort in ein Massengrab gelegt. Die Angehörigen wussten nicht, dass sie gestorben waren. Nach längerer Zeit schauten sie sich in Neustadt um und fragten nach ihnen, aber keiner konnte  Auskunft geben. Dann wurden sie zum Massengrab geführt und mussten nach ihnen suchen. Die Toten waren nur in weiße Leinentücher gehüllt. Sie fanden sie und brachten sie nach Ulsenheim. Dort wurden sie umgebettet und am 28.04.1945 beerdigt. Anna Glück war 42 Jahre, Nachbar Stütz 52 Jahre. 

 

Nun kam der unvergesslichste Tag meines Lebens, der 12. April 1945. An der westlichen Ortsgrenze standen zwei Panzer. Sie fuhren immer hin und her und schossen nahe Uffenheim zwei Panzer ab. Um 12:30 Uhr kamen dann die Tiefflieger und schossen das Dorf zu 80 Prozent in Schutt und Asche. Hans Glück und sein Sohn waren nicht mehr im Keller bei Dornbergers. Sie versorgten das Vieh. Wir sahen im Keller die Schatten der Tiefflieger. 

Dann sagte Frau Dornberger: Wir müssen hier raus, sonst verbrennen wir. Ich weiß es noch ganz genau, wie mein erster Blick im Freien auf unsere Scheune fiel: Ich sah die Einschüsse, den Rauch und das Feuer. Dann liefen wir durch das brennende Dorf. Über uns die Tiefflieger. Immer wieder mussten wir in Deckung gehen. Überall knisterte und krachte es. Im ganzen Dorf fanden wir keinen Schutz und liefen dann Richtung Weinberge. Wir sahen, wie es auch in Herbolzheim lichterloh brannte. Es lief viel Vieh draußen auf dem Feld umher. 

Die Nacht verbrachten wir in einem Weinbergshäuschen. Mitten in der Nacht kamen ein paar SS-Soldaten und sagten, dass wir hier nicht bleiben könnten. So gingen wir in ein Wäldchen. Die kleine Maja hatte so einen Durst und wir hatten nichts zu Trinken. Es fing dann an zu regnen und vor uns lag das brennende Dorf. 

 

Am nächsten Morgen liefen wir ins Dorf zurück. Es war ein einziger Trümmerhaufen. Verbranntes Vieh lag überall und wir standen vor dem Nichts. Unser Haus war zu 80 Prozent abgebrannt. In der Küche hing die Decke halb herunter. Nachbar Glück und sein Sohn waren daheim geblieben und hatten das Vieh abgehängt, sonst wären die Tiere alle verbrannt. Sie hatten auch versucht das Feuer zu löschen. Sie konnten aber nicht zum Brunnen und haben zum Löschen die Jauche genommen. Es war ein fürchterlicher Anblick, und das ohne Vater. 

Zum Glück war unser Stall so gut gebaut, dass die Decke nicht eingebrochen war. Das Vieh kam auch wieder heim, wir konnten es wieder im Stall anhängen, aber wir hatten kein Futter mehr. Nach und nach kam Futter von den umliegenden Ortschaften, die nicht abgebrannt waren. 

Am 13.04.1945 kam dann der Amerikaner nach Herbolzheim. Die nächsten Tage wurde das tote Vieh aufgeräumt. Es kam alles in einen großen Bombentrichter bei Brantz auf der Wiese. 

Das Leben musste weitergehen. Mutter und ich mussten von ganz vorne anfangen. Nach und nach konnten wir vom Acker Futter holen. Dann kamen die Heu-Ernte und der zweite schlimme Tag in meinem Leben. Ich brachte die Heuböcke aufs Feld und kam gerade mit dem Vieh und dem Wagen zurück. Als ich daheim ankam, kam ein Gewitter mit Hagelschlag. Es war so schlimm, dass ich mich auf den Boden legen musste. Die Arme habe ich mit Heu abgedeckt. Es war fürchterlich. Als ich aufs Feld zu meiner Mutter zurückkam, waren das ganze Heu und die Böcke auf dem ganzen Feld verstreut. 

Wir liefen wieder nach Hause und schon von weitem sahen wir, dass der Giebel unserer Scheune nicht mehr stand. Der Giebel war samt Eisenträger und Decke durchgebrochen. Die Kühe standen auf den Steinen.  

Meine Mutter wollte nicht mehr dableiben. Es war einfach zu viel für sie. Sie wollte nach Gollachostheim zu ihrer Cousine und ich sollte zu meinem Onkel nach Ezelheim gehen, die keine eigenen Kinder hatten. Ich antworte ihr, als damals 15jährige: Eigner Herd ist Goldes wert“. Dann schickte sie mich nach Krautostheim, um meine beiden Onkel zu holen. Mit dem Fahrrad fuhr ich mit den nassen Kleidern am Leibe dorthin. Die Onkels kamen gleich, holten die Kühe aus dem Trümmerhaufen und halfen beim Aufräumen. Sie besorgten uns auch ein Notdach über dem Stall, Maurermeister Schubart half uns die Decke reinzumachen und wir konnten unser Futter für den Winter einbringen…

Auszüge aus den handschriftlichen Aufzeichnungen, 
zusammengefasst von Tochter Claudia Pehl

Frieda Spath

im Jahr 1938 vor dem Eingangstor zur Kirche


Interview zu den Erlebnissen

an Karfreitag 2020, 75 Jahre nach der Zerstörung,
eingebunden in eine Andacht über die tröstenden Worte aus Psalm 23, dem Lieblingsspalm der damals 90jährigen

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"Zerstörung"